Rechtsextreme Unruhen in Chemnitz - "Niemand kann mehr von beunruhigten Bürgerinnen und Bürger sprechen".
Heckmann: Prof. Beate Küpper ist Konfliktwissenschaftlerin an der Universität Niederrhein. Meine erste Anfrage an Sie lautet: Sachsens Bundesinnenminister Roland Wöller von der CDU, der von einer neuen Eskalationsstufe gesprochen hat. Ist es das, was du denkst? Küpper: Ja und nein. Und wenn wir uns erinnern: In der Geschichte hatten wir natürlich solche pogromartigen Launen mit Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und dergleichen, wie wir sie gerade in Chemnitz erleben mussten.
Dies war ein kleiner Hinweis auf das, was wir jetzt erleben. Was Sie jetzt ganz klar erkennen, ist, dass wir dort die ehemaligen Nationalsozialisten haben, die in Sachsen - und Chemnitz war immer auch ein Brennpunkt der ehemaligen Nationalsozialisten - zusammen mit den neuen Nationalsozialisten zu Protestaktionen aufriefen.
Es handelt sich um organisierten Rechtsradikalismus. "In Sachsen erleben wir seit vielen Jahren eine gewissen Dummheit" Heckmann: Wie sind diese neuen Erkenntnisse zustande gekommen? KÜPPER: Das ist bedauerlicherweise nicht ganz verwunderlich. In Sachsen haben wir jetzt eine triste Vergangenheit des Rechtsradikalismus, was auch damit einherging, dass Sachsen lange Zeit nicht wirklich aussehen wollte, als hätte es ein Rechtsradikalismusproblem.
Wenn Sie das aufgetretene Phänomen nicht benennen und das Phänomen nicht erkennen wollen, können Sie nicht angemessen vorgehen. Kurt Biedenkopf sagte damals, die Saxons seien gegen Rechtsradikalismus gefeit. KÜPPER: Ja, und das war ziemlich tödlich, denn das hat Sachsens konsequentes Vorgehen gegen Rechtsradikalismus behindert. Seit vielen Jahren erleben wir eine Aufregung.
Die Rechte hat auf so etwas wie das hier schon lange gewartet. Was? So haben wir zum Beispiel auch die Prähistorie von Pegida, wo ganz gewöhnliche Bürger mit deutlich erkennbaren rechten Rowdys von Dynamo Dresden, die von Beginn an dabei waren, nach Postern mit einem Galgen in Pegida zusammenliefen.
Wie ist das zu begründen? Küpper: Auf der einen Seite kommt es darauf an, dass sich die Rechten sehr gut organisieren, sehr gut miteinander verbunden sind und auf ein solches Triggerereignis warteten. "Für den Rechtsradikalismus ist die Geschichte, selbst zu opfern, sehr wichtig", so Heckmann: "Das bedeutet, dass die Rechtsradikalen dieses furchtbare Geschehen für ihre eigenen Politikzwecke ausnutzen.
KÜPPER: Ganz recht. Das Erzählen vom Opfersein ist sehr bedeutsam für den rechtspopulistischen, aber auch für den rechtsextremen Bereich. Man könnte das auch an einigen Beklagten im NSU-Prozess erkennen, die sich zum Beispiel als Betroffene stilisierten und dann durch Notwehr oder als Notwehr und Widerstandskämpfer die Legitimation von Gewalttätigkeiten an den Tag legten.
Sie haben soeben von dem so genannten "Scherz" der sächsischen Staatspolitik geredet, dass der Einsatz für den Rechtsradikalismus offenbar noch nicht deutlich genug ist. Sie haben es gerade gesagt: Das fing mit Kurt Biedenkopf an, der den Saxons einen Personenschein ausstellte, der den Rechtsradikalismus anspricht.
Dass die sächsischen CDUs immer sehr rechtsgerichtet waren, zum Beispiel war die CDU in Sachsen immer eher zurückhaltend als die CDU in anderen Ländern, das Recht war in diesem Falle - nicht zurückhaltend, sondern richtiger. Was wir jetzt erleben, ist die Rechnung.
"Dies ist ein Feuerspiel " Heckmann: Was würden Sie den amtierenden Politikerinnen und Politikern jetzt raten? Kühler: Es wurde bereits das Passende gemacht, und zwar das Phänomen sehr deutlich erkennen und nennen zu wollen. Chaos ist hier sicher nicht das rechte Wort, sondern Rechtsextremismus, und ich denke, das Image des Staates ist hier nicht das erste Mal ein Dilemma.
Etwas unbedeutend bedeutet das, dass die Formulierungen wieder etwas trivial sind? Küpper: Das meine ich mit herumhängen, und das ist ein Feuerspiel. Jetzt ist es höchste Zeit, sich dem Thema zu widmen, denn nur wer sich dem Thema annimmt, kann angemessen vorgehen.
Es gibt in Sachsen viele Allianzen der Zivilgesellschaft, die sehr, sehr tapfer gegen den Rechtsradikalismus sind. Bislang wurden sie oft in der Hacke erwischt, indem sie zum Beispiel mit der Extremismus-Klausel im Allgemeinen unter Verdacht gebracht wurden, indem sie immer im gleichen Atemzug über Rechtsradikalismus sprachen, wie ein Schnappatem über Linksradikalismus.
Es ist sehr bedeutsam, das Thema jetzt zu nennen, und es ist ganz offensichtlich, dass die Polizisten in diesem Falle gut dastehen. Was sie immer propagierte, wird jetzt in die Praxis umgesetzt, und jetzt ist es sehr bedeutsam, dass Politiker und Polizisten sich angemessen gegenüberstehen, und die Fragestellung ist, wie gut es ihnen gelingen kann.
Doch was hier zählt, ist eine sehr deutliche Formulierung. "Dabei ist es von Bedeutung, dass der restliche Teil der Bevölkerung solidarisch ist" Heckmann: Haben Sie auch Ratschläge für die Bürgergesellschaft? KÜPPER: Ja! Die übrige Bevölkerung muss sich solidarisch zeigen, und das ist an manchen Stellen ein weiteres Problemfeld für die Bürgergesellschaft, dass die Bürgergesellschaft in mancher Hinsicht auch das, was wir in Chemnitz erleben, mit Sympathie verfolgt, sich an Agitationen und Internetgerüchten beteiligt u. a.
Es ist wichtig, dass alle, die nicht wollen, dass sich Deutschland noch weiter nach vorne bewegt, hier klare Solidarität zeigen und auch ein klares Signal an die Politiker senden, wir wollen das nicht, wir wollen nicht in einem solchen Staat sein. Und kann das auf mittlere Sicht klappen?
Kühler: Ich wünsche mir, dass dies gelingt. Aus allen Umfragen wissen wir, dass die sehr große Mehrzahl die demokratische Ordnung, die eine pluralistische und geduldige Gemeinschaft will und die sehr besorgt ist, dass das, was wir in den vergangenen 70 Jahren so mühevoll aufbauen konnten, einfach durch so etwas gebrochen wird.
Ist es immer noch so, dass eine Majorität die demokratische Meinung vertritt? KÜPPER: Ja. Wenigstens an der Wasseroberfläche können wir das erkennen. Es stellt sich also die folgende Frage: Was versteht man denn nun wirklich unter Demokraten? Sind sie sich wirklich bewusst, dass es in der Tat die Menschenwürde, die Würde aller Menschen, die Gleichberechtigung aller Menschen gibt?
"Sehen Sie eine gewissen Aushöhlung über das oberflächliche Bekenntnis zur Demokratenschaft hinaus " Heckmann: Gewaltentrennung, Medienfreiheit. KÜPPER: Die Vielfältigkeit ist ein unmittelbarer Teil davon. Dies ist auch sehr bedeutsam, wenn es um die Meinungsfreiheit geht, denn sie wird durch die Regeln des Spiels und das Feld der Äquivalenz geschützt.
Es ist sehr bedeutsam, hier zu differenzieren und den Kompaß wiederzufinden und auch noch einmal klarzustellen, daß der Minderheitenschutz, die Rechte von Minderheitengruppen und so weiter sehr unmittelbar, sehr bedeutsame Kernstücke der demokratischen Ordnung sind. Und Sie sehen keine große Aushöhlung zumindest der Unterstützung der Demokratisierung, der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland?
Kühler: Ich stelle jedoch eine Abnutzung jenseits des vordergründigen Geständnisses fest, das belegen auch Erhebungen. Dies ist ein großes Demokratieproblem, das a) viel Zuversicht erfordert, aber auch, dass die Menschen daran teilnehmen und sich zugleich des Spielfeldes bewußt sind, auf dem sie spielen. Deshalb kann ich bereits eine gewissen Aushöhlung über das oberflächliche Bekenntnis zur Demokratenschaft hinaus erkennen.
Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für das Interview. Kühler: Vielen Dank.